Wider die Unsterblichkeit
(Peter Dumat)
Ich bin ein Gott.
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Kein bekannter, denn einst wurde ich als Spion unbemerkt unter die Menschen geschleust, um ihre Gewohnheiten zu erforschen und herauszufinden, was es mit ihrem tristen Dasein auf sich hat.
Um ehrlich zu sein, war es eine Strafe. Ich hatte mich nämlich lustig gemacht über den Hochmut der Allmächtigen, ihr aufgesetztes Mitgefühl, die jammervolle Humorlosigkeit, die träge Banalität ihrer abgehobenen Existenz und die mit Ambrosia ertränkte Langeweile über den Wolken.
Also verbannten sie mich aus dem Olymp. Sie setzten mich aus wie einen übel riechenden Nestbeschmutzer, der mit seinen kakofonen Worten den sonst so funkelnden Gullideckel ihres luftigen Narzissmus geöffnet und den unterdrückten Gestank der Wahrheit herein gelassen hatte.
Und hier unten bin ich noch immer – als Zwitterwesen, das weder Himmel noch Erde sein Zuhause nennen kann.
Das Pikante ist: Alle Götter dachten, sie wären unvergänglich. Doch dem war nicht so. Sie starben, als sie in Vergessenheit gerieten. Die Menschen löschten sie einfach aus wie einen lang ersehnten Traum, der nie in Erfüllung gegangen war.
Ich aber konnte nicht aus der Erinnerung der Menschen verschwinden, denn dort hatte ich nie einen Platz. Weder wurde ich gekannt, noch verehrt oder gefürchtet. Ich besaß und besitze keine besonderen Eigenschaften außer der, nicht als Gottheit erkenntlich zu sein.
Und so lebte ich weiter.
Leider.
Nach Hunderten von Jahren durchschaute ich die Menschen und die Erde war für mich zu einem kugelförmigen Freigehege der anthropologischen Vorhersehbarkeit geschrumpft. Es war ein Graus. Ich habe alles gesehen, gehört und erlebt, habe geliebt, gelitten, gerettet und getröstet. Durch sämtliche Orte des Planeten bin ich gepilgert, seien es Länder, Städte, Dörfer, belebte oder menschenleere Landstriche. Ich durchstreifte Wüsten, Steppen und Wälder, habe Berge erklommen, Täler durchschritten, Meere überquert und Flüsse durchschwommen. Einem rastlosen Hund gleich schnüffelte ich in allen Ecken der Hemisphären, als müsste irgendwo der Knochen meiner Erlösung vergraben sein.
Es waren unzählige Frauen und Männer, denen ich verfallen bin und die mich verstießen oder liebten. Alle haben mich ein Stück meines unendlichen Weges begleitet. Ich teilte mit ihnen Tisch und Bett und weinte an ihren Gräbern. Doch je länger die Reise weilte, desto kürzer und unwichtiger wurden die Episoden. Schließlich stumpfte meine Liebe ab wie ein zu oft genutzter Pfeil. Angewidert und gelangweilt vom ewigen Reigen der emotionalen Wogen wurden deren Ausschläge immer weniger und glichen schließlich einem Strich, der seismographisch meinen Gefühlstod signalisierte. Ich konnte und wollte nicht mehr lieben, weil ich nichts mehr dabei spürte. Ich war so leer wie die uneingelösten Versprechen der göttlichen Heuchler.
Also fing ich an zu töten.
Ich mordete wahllos und gezielt, Männer, Frauen und Kinder. Ich erschlug, erdrosselte, ertränkte, zerstückelte, vergiftete und brachte die Menschen auf alle Arten um, die mir einfielen – nur um etwas zu empfinden, irgendeine Regung in mir zu erzeugen und sei es der abgrundtiefe Hass auf mich selbst. Ich degenerierte zu einem barbarischen Zombie im Reich der Lebenden, der bissige Zwietracht säte, hinterlistige Seuchen beschwor und unnötige Kriege entfesselte. Das tat ich lange und voller Grimm, bis mir aufging, woher meine grenzenlose Wut rührte.
Es geschah aus purer Missgunst.
Denn nach all der verbüßten Zeit und im Inneren meiner übermüdeten Seele beneide ich die Menschen: um den Wert des Augenblicks, die Zufälligkeit ihres Schicksals, den aussichtslosen Kampf gegen die rotierenden Windmühlen des Unbekannten, die immerwährende Hoffnung, den lebendigen Geschmack der ständigen Versuchung, die Zwangsläufigkeit unerfüllter Träume, ihre unbeschreibliche Dumm-heit, die frivole Macht ihrer Fantasie, den unverzagten Mut selbst im Angesicht der Verzweiflung, die bizarren Wirren ihrer jederzeit gefährdeten und begrenzten Existenz; kurz gesagt, um den Tod.
Vielleicht haben die Götter das gewusst?!
Was für eine drakonische Strafe haben sie mir damit auferlegt!
Und nicht nur mir, sondern auch den Menschen!
Waren sie so schlau, so überirdisch boshaft, dass sie möglicherweise das frevelhafte Vergessen der Erdbewohner vorhersahen und ihnen als Vergeltung die ewige Plage in meiner Gestalt sandten?
Denn ich bin das nicht zu bändigende Tier, das noch immer in und unter ihnen wütet und wie eine plötzliche Naturkatastrophe über sie hereinbricht. Ich verbreite das grenzenlose Verlangen, die exzessive Leidenschaft und den unbarmherzigen Zorn, ob ich will oder nicht. Seit Ewigkeiten mische ich mich unter die Leute und niste mich bei ihnen ein wie ein launischer Parasit. Dort ernähre ich mich von ihren Sehnsüchten, Ängsten und Zweifeln und wachse von einer heimlichen Geißel zu einem, mit emotionaler Unberechenbarkeit getarnten, Monster heran. Mehr oder weniger offensichtlich schlummert es in allen und kann jederzeit ausbrechen – im Guten wie im Bösen.
So halte ich den zeitlosen Kreislauf von Liebe und Hass in Gang.
Ich habe vielen Namen und keinen.
Man kann mich nicht beseitigen, unterdrücken oder kurieren.
Ich lebe weiter.
Und kann nicht ruhen.
Denn ich bin unsterblich.
—
Mein Gott.