Ein Bild von mir
(Peter Dumat)
„Böörrp!“ Ich hatte lauthals aufgestoßen und der Gallegeschmack des gerade verdauten kalten Buffets dampfte als stinkende Atemwolke in den gefrorenen Nachthimmel. Etwas betreten blickte ich auf, um zu schauen, ob irgendwer in meiner Nähe die kleine Entgleisung bemerkte. So wie ich, machten sich nämlich gerade einige auf den Weg. Wir verließen die Veranstaltung, die weder durch einen richtigen Beginn, noch einen Höhepunkt aufgefallen war, so dass ich mir deren Ende ersparen wollte. Mochten die Verbliebenen unbeeindruckt von der lethargischen Stimmung weiter die Biergläser umarmen, verwelkte Existenzen begaffen und die Erlösung im warmen Reich der gemeinschaftlichen Ausdünstungen finden.
Vor dem Gebäude teilte sich der Strom der Fliehenden. Einige strebten Richtung Stadt, andere, wie ich auch, machten sich auf den Weg zur S-Bahn. Im grell erleuchteten Tunnel dorthin spielte ein Gitarrenduo romantische Melodien, deren Kontrast zur gefliesten Tristesse der Örtlichkeit mir zwar ein dünnes Lächeln, aber kein Geld entlocken konnte.
Auf dem Bahnsteig angekommen, schlug mir ein kühl fauchender Wind entgegen, als wollte er mich die Treppe zurück schubsen. Etwas missmutig stierte ich auf die Anzeigetafel und erkannte, dass ich noch ein paar Minuten in der Kälte ausharren musste. Wie die meisten anderen Nachtwandler auch, schickte ich mich an, ziellos auf der Plattform herum zu schlendern. Um Geschäftigkeit vorzutäuschen, zückte ich mein Mobiltelefon. Nichts darauf regte sich. Keine Nachricht, kein Anruf, kein irgendwie gearteter Bedarf an meiner Person wurde angezeigt. Trotzdem wischte ich gesenkten Hauptes unbeirrt über den Bildschirm, als würde ein Schamane in Asche rühren und damit die Geister der Information beschwören.
Durch den Schutzschirm meiner simulierten Konzentration erklang plötzlich eine befremdliche Stimme – nicht der Sprache wegen, sondern aufgrund ihres Klanges. Roboterhaft schwatzte jemand wie ein aufgezogenes Uhrwerk vor sich hin. Ich blickte auf und mich um. In meiner unmittelbaren Nähe befand sich niemand. Aber wenige Meter vor mir stand in der dunklen Mitte des Bahnsteiges ein Fotoautomat für Pass- oder Spaßbilder, aus dem wohl sonderbarerweise die Stimme kam. Der Vorhang war zugezogen. Doch obwohl ich mich extra bückte, konnte ich keine Füße darunter erkennen. Neugierig trat ich näher und nach kurzem Zögern lugte ich vorsichtig am Rande des Stoffes hindurch in die kleine Box.
‚Merkwürdig‘, dachte ich.
‚Da ist niemand drin!‘
‚Was war das denn? Eine Maschine, die Selbstgespräche führte?‘
Während meiner erstaunten Gedanken plapperte der Apparat auf seine abgehakte Weise munter weiter.
„Schauen Sie in die Kamera!“
„Bleiben Sie bitte ruhig sitzen!“
„Bitte warten!“
Und so weiter.
Das Gerät lief also ungenutzt vor sich hin. Aber wer hatte es in Gang gesetzt? Jemand musste doch Geld hinein gesteckt haben, um den Automaten zu starten?
‚Und nun?‘
Ich zögerte nicht lange. Wer weiß, wie lange das Ding noch funktionieren würde. Schnell trat ich ein und setzte mich auf den darin befindlichen Hocker. Dann suchte ich mit meinen Augen hastig die Kamera. Als ich sie gefunden hatte, bemühte ich mich in aller Eile, ein fotogenes Gesicht aufzusetzen und machte mich bereit für die Aufnahme.
Sofort ertönte die sonore Stimme wie ein blechernes Orakel:
„Schauen Sie in die Kamera!“
„Bleiben Sie bitte ruhig sitzen!“
„Bitte warten!“
Es blitzte und kurze Zeit später erschien auf einem kleinen Bildschirm das eben gemachte Foto. Ich war enttäuscht. Mein Gesichtsausdruck wirkte dumpf, die Augenbrauen wucherten quer und meine untere Mundpartie erinnerte an ein verschwommenes Doppelkinn.
‚Schrecklich!‘
Es hatte eben alles so schnell gehen müssen. Deshalb war ich so unvorteilhaft getroffen.
„Möchten Sie das Bild auswählen?“ fragte der Apparat.
‚Auf keinen Fall!‘
Ich drückte die Nein-Taste und war gespannt, ob ich wohl noch einen weiteren Versuch hatte. Zum Glück war dem so.
Diesmal gab ich mir mehr Mühe. Ich besserte im halbblinden Spiegel meine Frisur nach – was nicht so einfach war, da ich stellenweise einzelne Haare in die richtige Position bringen musste. Dann übte ich eine weltmännische, aber nicht zu künstlich anmutende Miene und betätigte den blinkenden Start-Knopf.
Die Maschine sagte ihre üblichen Floskeln auf und knipste erneut. Auch dieses Ergebnis überzeugte mich nicht. Ich sah blass und ausdruckslos aus. Die Lippen hingen schief und die Nase war durch das schlechte Licht geradezu entstellt.
Ich brauchte noch etliche weitere Anläufe. Das war zwar aufwendig, aber ich freute mich, dass man so viele Möglichkeiten hatte, Korrekturen an sich vorzunehmen. Inzwischen kannte ich die Ansagen auswendig. Die vielen Wiederholungen hatten jedoch soviel Zeit in Anspruch genommen, dass ich die Bahn ohne mich fahren lassen musste.
Schließlich aber gelang mir ein treffendes Foto!
So gefiel ich mir: tiefsinniger, fast abgründiger Blick; offene, tolerante, dem Betrachter zugewandte Kopfstellung; maskuline Erscheinung mit einer weich zeichnenden Umrahmung durch die in den gestutzten Vollbart übergehenden, sorgfältig gelegten Haare.
„Möchten Sie das Bild auswählen?“ fragte der Automat einmal mehr.
‚Na klar!‘
Zufrieden tippte ich auf die entsprechende Taste.
„Bitte haben Sie etwas Geduld! Ihr Bild wird nun gedruckt!“
Ich stand fröhlich auf, trat durch den Vorhang zurück auf den Bahnsteig und wartete. Leise arbeitete der Automat.
Summ, summ, summ.
Dann folgte ein kurzes Rattern – sicher ein Zeichen dafür, dass die Bilder gleich durch den Schlitz fallen würden.
So passierte es auch.
Das Fotopapier schnellte heraus, doch als ich es mir anschauen wollte, war da – nichts! Alles weiß!
Das einzig Sichtbare war ein klein gedruckter Text auf der Rückseite. Dort stand geschrieben:
„Werter Kunde!
Dieser Automat ist ein Prototyp. Er versucht, sich ein Bild von Ihnen zu machen. Dabei bezieht er Ihr Auftreten – vor, während und nach dem Vorgang des Fotografierens – mit ein, um einen möglichst umfassenden und objektiven Eindruck von Ihnen zu gewinnen.
Leider ist es dem Gerät nicht gelungen, Sie zu erkennen.
Das kann vorkommen, wenn das ausgewählte Wunschbild und beobachtbare Verhalten nicht oder kaum übereinstimmen.
Es ist natürlich nicht Ihr Verschulden, wenn die Bilderfassung erfolglos war, sondern vielmehr Ausdruck weiteren Optimierungs- und Programmierbedarfs. Somit haben Sie uns geholfen, die Maschine weiterzuentwickeln und noch genauer justieren zu können.
Wir danken für Ihre Mithilfe und würden uns freuen, Sie trotz des heute unbefriedigenden Ergebnisses bald wieder begrüßen zu können.“
‚Was?‘
Das sollte das Ergebnis der ganzen Mühe sein?
Ein leeres Blatt?! Dafür hatte ich so intensiv versucht, mich ins rechte Licht zu rücken?
‚Alles umsonst?!‘
Ich ärgerte mich, trat wütend gegen den Automaten, zerknüllte das Papier und warf es fluchend auf die Gleise.
Am liebsten hätte ich die Blechkiste gleich hinterher geschmissen! So eine blöde Fehlkonstruktion!
Jetzt musste ich auch noch länger auf die nächste Bahn warten. Gereizt stand ich einmal mehr sinnlos auf dem Bahnsteig herum.
Im Hintergrund schien es, als würde der Apparat kichern.
Oder bildete ich mir auch das nur ein?
Lieber Peter, soviele Bilder auf meinem Handyspeicher. Habe Sie mir gerade nochmal angeschaut und musste feststellen: alle leer in diesem Sinne. Aber auch dies ist kein Grund für mich, nicht weiter und schneller am Strand zu graben. Wenn wir alle davonschwimmen würden, dann wären unser aller Möglichkeiten am Ende doch nur wieder auf Sand gebaut. Danke für Deine Zeilen!
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Sanny
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